Zu meiner Arbeit

Die Idee der gesellschaftlichen Plastik oder: Bewegung durch Transformation, Transformation durch Begegnung

„Es gibt nichts, was stärker ist als eine Idee.“

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Dieser Satz von Victor Hugo steht für meine Arbeit, mein künstlerisches Schaffen, und ist an jedem Ergebnis meiner Projekte ablesbar: Immer wenn ich ein Projekt beginne, ist es, als ob ein weißes Blatt Papier vor mir liegt, das gefüllt werden muss. Ich weiß zu Beginn nicht, was am Ende entstanden sein wird. Mit einer Idee beginnt alles, ohne dass genau klar wäre, wohin es geht und was sich während der Projektzeit entwickelt. Am Schluss steht auf diesem Blatt dann eine neue Geschichte, die ein Ende hat, das zugleich ein Neuanfang ist.

Als handwerklich arbeitender Künstler fasziniert mich der Werkstoff Eisen in seinen verschiedenen Formen, insbesondere dann, wenn der ursprüngliche Gedanke hinter seiner Nutzung nicht mehr trägt, wir das Material also als Schrott bezeichnen.

Als bildender Künstler fasziniert mich zudem der Kontext, in dem Kunst außerhalb der ihr zugeschriebenen Orte stattfinden kann, und die Frage, wie sie dort wahrgenommen wird. So habe ich in den 30 Jahren, die ich nun in Stuttgart lebe und arbeite, sowohl in meinem Atelier als auch im öffentlichen Raum zahlreiche Kunstaktionen initiiert und durchgeführt. Im Rahmen eines über mehrere Jahre angelegten Zyklus, in dem Aktionen wie „Kunst ist Müll“, „Ausverkauf“, „offene Räume“ und „24 Stunden Feste kaufen“ stattfanden, brachte die Kunstverkaufsaktion „Alldie Kunst“, bei der ein temporäres „Discountkaufhaus“ im Mittelpunkt stand, beispielsweise junge Künstler und ein etabliertes Kunstpublikum zusammen. In dem ortsbezogenen Projekt „Vorfahrt“ öffneten rund 100 Bewohner einer Villenstraße ihre Häuser und Vorgärten für Künstler aus ganz Europa, die dort ihre Arbeiten ausstellten. Bei solchen Aktionen ging es mir immer um die Begegnung mit Menschen, zwischen Menschen und die Möglichkeit der Beteiligten, sich auszutauschen und dadurch innerlich in Bewegung zu kommen – durch das Teilnehmen, Annehmen und das Zulassen von zunächst Ungewohntem. Die beiden letztgenannten Aktionen wurden umfassend dokumentiert und teilweise von städtischer Seite und von Sponsoren finanziell unterstützt.

Als konzeptuell arbeitender Künstler sehe ich in der Suche nach technischen Lösungen, in der Schaffung einer Skulptur und in dem jeweiligen Gruppenfindungsprozess Zusammenhänge, die spannende Aspekte eröffnen.

In Kooperationen mit Firmen aus Baden-Württemberg begleite ich darüber hinaus Ingenieure und Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen in einem Findungsprozess. Sie gehen in der kreativen Atmosphäre des Ateliers auf die Suche nach ganz konkreten Lösungen. Betriebsspezifische Hierarchien werden schnell überwunden und es findet eine Begegnung auf Augenhöhe statt. Ergebnis sind nicht nur Ideenskripte, einfache Modelle und Zeichnungen, durch die spielerische und tüftelnde Vorgehensweise werden zudem die kreativen Ressourcen (re-)aktiviert und der Begriff der Teamarbeit gewinnt neue Aspekte.

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Kunstprojekte, die für Institutionen im Rahmen der Bildungs- und Jugendarbeit konzipiert werden, sind auf die jeweiligen Situationen und Bedürfnisse zugeschnitten; es bedarf hier einer individuellen Vorbereitung und des „Abklopfens“ der Möglichkeiten. Sie bieten ein Experimentierfeld, in dem Spannungen sichtbar werden und in dem jede Gruppe sehr schnell ihre Struktur offenbart: ihre Dynamik, ihre Anführer, ihre Mitläufer, ihre Stärken oder Schwächen. Es zeigt sich, wie der Einzelne arbeiten will und kann, welchen Respekt die Beteiligten untereinander und gegenüber dem Umfeld haben. Es gibt auch die Möglichkeit, Regeln und Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen und sowohl die eignen als auch die fremden Fähigkeiten zu testen.

Es braucht Geduld und Zeit, um mit Jugendlichen zu arbeiten, denn vieles passiert für sie zum ersten Mal. Ich verlange als Künstler, dass sich die Beteiligten trauen, mutig sind und Fehler machen. Ich versuche, ihnen die Angst vor Maschinen und schmutzigen Händen zu nehmen – und vor dem, was passiert, wenn sie etwas tun. Sie entdecken Werkzeuge, halten etwa einen Schweißbrenner in der Hand, und lernen technische Abläufe zu verstehen.

Das „Tun“ oder die „Tat“ ist in der heutigen Zeit nicht mehr unmittelbar an die Hände gebunden, sondern findet im Kopf statt. Und vieles von dem, was Jugendliche denken, haben sie nicht selbst erfahren, sondern als scheinbar feststehenden Fakt übernommen. Seien es physikalische Formeln oder Vorurteile. Im Kunstprojekt werden sie mit etwas „Handfestem“ konfrontiert und sie brauchen Spielraum, um selbst und gemeinsam in einen Prozess zu kommen. So fragten sich bei dem Projekt „Automobile Stadtteilskulptur“ die beteiligten Jugendlichen erstmals, was eigentlich geschieht, wenn ihre Skulptur in ihrem Stadtteil aufgestellt wird und sie dann jemand beschädigt oder zerstört. Alle stammten aus schwierigen familiären Strukturen, wohnten in einem sozial schwachen Stuttgarter Bezirk und besaßen im Alltag ein hohes Agressionspotenzial. Aber was durch die eigenen Hände entstanden ist, schafft eine Identifikation.

Für mich als Künstler ist das entstehende Objekt ein Ergebnis von vielen Elementen und Beteiligten. Es sind die Erfahrungen, die ich während eines Projektes machen darf, und die damit verbundenen Erlebnisse und Erkenntnisse, die mich künstlerisch immer wieder neu inspirieren und Impulse für neue Ideen setzen. Die Energie in einem Raum, wenn eine Gruppe zusammenarbeitet, ist für mich deutlich spürbar und ich bin mir sicher, dass jeder Mensch in einen künstlerischen und kreativen Prozess kommen kann. Ich möchte, dass alle Beteiligten zu einem Bestandteil der Aktion werden und zum Gelingen des jeweiligen Experiments beitragen. Auch wenn es am Anfang nicht so scheint – am Ende eines Projektes sehen alle ein Ergebnis, sehen ihren gemeinsamen Weg und ihre unverzichtbare Beteiligung.

Ob das gemeinsam mit Förder-, Haupt- und Realschülern geschaffene Germersheimer Klangskulpturenwerk „Gong“, die in mehrwöchiger Zusammenarbeit fast aller Klassenstufen der Freien Waldorfschule am Kräherwald, Stuttgart, realisierte „Rythmusmaschine der Fantasie“, das mit dem Jugendhaus im Stuttgarter Problembezirk Hallschlag umgesetzte integrative Projekt „Automobile Stadtteilskulptur“, die „SchatzSuchMaschine“ mit 1000 Jugendlichen aus verschiedenen Bildungseinrichtungen im Museum und Park Kalkriese (im Sommer 2012) oder die vielleicht mögliche Realisierung einer Kunstaktion mit israelischen Bildungsinstitutionen, eines verbindet all diese Projekte: Jedes ist erst einmal eine Idee.

Meine Idee einer gesellschaftlichen Plastik heißt:
Es geht darum, sich wahrzunehmen.
Es geht darum, sich für Neues zu öffnen, neugierig zu werden.
Es geht darum, Vorurteile abzubauen und Selbstverantwortung zu übernehmen.
Es geht darum, Dinge zu hinterfragen.
Es geht darum, viele Arbeits- und Lebensbereiche kennenzulernen.
Es geht darum, Technik kreativ zu vermitteln.
Es geht darum, verschiedene Formen der Kunst zusammenzuführen.
Es geht darum, Grenzen auszuloten und zu überschreiten.
Es geht darum, Bewegung stattfinden zu lassen – in den Händen, im Kopf, im Herzen.
Es geht um Bewegung durch Transformation.
Es geht um Transformation durch Begegnung.

„Es gibt nichts, was stärker ist als eine Idee.“
Wolfgang Seitz